Sitzung: 04.02.2021 Rat der Stadt Wassenberg
Beschluss: einstimmig beschlossen
Abstimmung: Ja: 35
Vorlage: BV/FB1/016/2021
Der Rat nimmt die
Beschlussvorlage der Verwaltung zur Kenntnis.
Sachverhalt:
In Nordrhein-Westfalen existiert derzeit
keine gesetzliche Rechtsgrundlage zur (Live-) Übertragung von
Gemeinderatssitzungen im Internet o.ä. Entsprechendes gilt für die Archivierung
von aufgenommenen Sitzungen auf Internetseiten.
Da durch die Live-Übertragung und die Speicherung der Ratssitzungen im
Internet in Rechte Betroffener eingegriffen wird, bedarf es jedoch einer
rechtlichen Grundlage.
Ungeachtet des Umstandes, ob eine
Live-Übertragung und Speicherung von Rats- und Ausschusssitzungen zunächst nur
im Rahmen einer Testphase stattfinden sollen, sollte in der Geschäftsordnung
für den Rat und die Ausschüsse eine entsprechende Rechtsgrundlage geschaffen
werden. Dies entspricht auch einer Stellungnahme des Landesbeauftragten für
Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen vom 27. Januar 2011
zum Thema „Liveübertragung/Videoaufzeichnung öffentlicher Ratssitzungen“,
wonach der Rat die Übertragung von Rats- und Ausschusssitzungen in seiner
Geschäftsordnung festschreiben kann.
Die Direktübertragung der gesamten Rats- und
Ausschusssitzungen sowie einzelner Reden betrifft das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung, welches von dem in Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG
verankerten allgemeinen Persönlichkeitsrecht umfasst ist. Das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung gewährleistet die Befugnis des Einzelnen,
grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen
Daten zu bestimmen. Einschränkungen des Rechts auf informationelle
Selbstbestimmung können durch ein Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen
(Vorbehalt des Gesetzes). Die Gemeindeordnung und das Landesdatenschutzgesetz
ermächtigen nicht zur Aufzeichnung und Weitergabe von Rats- und
Ausschussdebatten gegen den Willen der Rats- und Ausschussmitglieder. Daher
muss jedes Rats- und Ausschussmitglied in die Live-Übertragung seiner
Redebeiträge zuvor einwilligen. Auch aus dem Grundsatz der Öffentlichkeit der
Rats- und Ausschusssitzungen lässt sich nach ständiger Rechtsprechung kein
Recht zum Anfertigen und zur Weitergabe von Aufzeichnungen ableiten. Das
Landesdatenschutzgesetz stellt die Weitergabe personenbezogener Daten nochmals
ausdrücklich unter den Vorbehalt der Einwilligung. Dieses Gesetz betrifft die
Übertragung personenbezogener Daten durch eine Behörde oder öffentliche Stelle
(§ 2 DSG NRW). Da die Direktübertragung über die Internetseite der Stadt auf
Veranlassung der Stadt erfolgen würde, findet das Landesdatenschutzgesetz
Anwendung. Die Direktübertragung von öffentlichen Rats- und Ausschusssitzungen im
Internet stellt eine Übermittlung personenbezogener Daten außerhalb des
öffentlichen Bereichs nach § 16 DSG NRW dar. Sie ist zulässig, wenn eine
Rechtsvorschrift dies erlaubt oder der Betroffene eingewilligt hat. Auch aus
datenschutzrechtlicher Sicht dürfen daher nur die Beiträge der Rats- und
Ausschussmitglieder in Wort und Bild über das Internet nach § 16 Abs. 1 b
i.V.m. § 13 Abs. 2 b DSG NRW verbreitet werden, wenn diese vorher in die
Übertragung eingewilligt haben. Das Landesdatenschutzgesetz regelt in § 4 Abs.
1 DSG, wann eine wirksame datenschutzrechtliche Einwilligung vorliegt. Im
vorliegenden Fall müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
·
Die
Einwilligung muss ausdrücklich erklärt werden. Eine wirksame Einwilligung ist
durch Stillschweigen nicht zulässig.
·
Nach dem
Grundsatz der informierten Einwilligung (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 5 DSG) ist die
betroffene Person darauf hinzuweisen, dass bei einer Übertragung im Internet in
Bild und Ton weltweit von einem unbegrenzten Kreis von Personen abgerufen, aufgezeichnet,
unter Umständen verändert und ausgewertet werden können und die weitere
Verwendung dieser Aufnahmen nicht abzusehen ist.
·
Rats- und
Ausschussmitglieder dürfen nicht unter einen Entscheidungsdruck gesetzt werden.
Vielmehr muss ihm eine angemessene Überlegungsfrist für die Entscheidung
eingeräumt werden. (Grundsatz der Freiwilligkeit)
·
Die
Einwilligung muss hinreichend konkretisiert sein. Es muss deutlich sein, auf
welche personenbezogenen Daten und welche Phase der Datenverarbeitung sich die
Einwilligung bezieht. Die Einwilligung muss sich eindeutig auf einen konkreten
Datenverarbeitungsvorgang beziehen, so dass Blanko-Einwilligungen oder
pauschale Erklärungen diese Voraussetzungen nicht erfüllen.
Die
Einwilligung sollte sich daher auf die Aufzeichnung konkret bezeichneter Rats-
und Ausschusssitzungen, zum Beispiel auf die Sitzungen einer bestimmten
Wahlperiode, beziehen.
·
Die
Einwilligung bedarf nach § 4 DSG der Schriftform, soweit nicht wegen besonderer
Umstände eine andere Form angemessen ist. Über eine schriftliche Einwilligung
lässt sich am besten dokumentieren, dass die Rats- und Ausschussmitglieder über
die Folgen ihrer Einwilligung umfassend unterrichtet wurden. Eine schriftliche
Einwilligung, welche sich auf jede Rats- und Ausschusssitzung erstreckt, ist
praktikabel. Wenn die Einwilligung vor jeder Sitzung eingeholt werden soll, ist
eine Belehrung und anschließende Befragung der Rats- und Ausschussmitglieder
vor Beginn der jeweiligen Sitzung aber auch datenschutzrechtlich akzeptabel.
·
Schließlich
müssen die Rats- und Ausschussmitglieder darüber informiert werden, dass sie
die Einwilligung mit Wirkung für die Zukunft auch widerrufen können.
Verweigert ein Rats- oder Ausschussmitglied
seine Einwilligung, dürfen seine Redebeiträge weder
in Bild noch in Ton übertragen werden. Aufgrund der datenschutzrechtlichen
Bestimmungen ist der Leiter der Sitzung aber nach Auffassung des Beauftragten
für Datenschutz des Freistaates Bayern nicht verpflichtet, dann die Übertragung
der Sitzung generell zu untersagen. Durch entsprechende Aufnahmetechniken muss
allerdings vermieden werden, dass die Weigerung des Rats- oder
Ausschussmitglieds dokumentiert wird. Auch nach dem Beschluss des OVG Saarland
vom 30.08.2010 ist ein Ratsvorsitzender nicht verpflichtet, Aufzeichnungen der
Sitzungen durch die Medien auszuschließen, wenn dem ein einzelnes Ratsmitglied
widerspricht. Der Sitzungsleiter hat aber in jedem Fall die Möglichkeit, die
Aufzeichnung der Sitzung nicht zuzulassen, wenn ein Rats- oder
Ausschussmitglied der Aufzeichnung widerspricht. Rein praktisch würde die
fehlende Zustimmung einzelner Rats- oder Ausschussmitglieder dazu führen, dass
die Gesamt-Übertragung einer Sitzung gefährdet ist. Schließlich darf ja bereits
die Erteilung des Wortes an diesen Abgeordneten nicht übertragen werden. Dies
ließe sich aber aufnahmetechnisch nicht konsequent sicherstellen.
Den Rats- und
Ausschussmitgliedern darf es im Übrigen nicht verwehrt sein, ihre gegebene
Einwilligung zu widerrufen. Den Widerruf wird man auch nicht an bestimmte
Fristen knüpfen können. Damit die Technik nicht unnötig aufgebaut wird, sollte
man sich aber darauf verständigen, dass der Widerruf eines einzelnen Rats- oder
Ausschussmitglieds frühzeitig vor der Sitzung erfolgt.
Um beim Übertragungsvorgang alle rechtlichen
Vorgaben sicherstellen zu können und um keinen unnötigen technischen sowie
organisatorischen Aufwand und damit Kosten entstehen zu lassen, empfiehlt
die Verwaltung dem Rat der Stadt Wassenberg, eine Live-Übertragung der Rats-
und Ausschusssitzungen sowie eine Änderung der Geschäftsordnung für den Rat und
die Ausschüsse der Stadt Wassenberg nur dann zu beschließen und die
entsprechenden Aufträge zu veranlassen, wenn die Beschlüsse einstimmig gefasst
werden und jedes Rats- bzw. Ausschussmitglied in die Live-Übertragung und
Videoaufzeichnung seines eigenen Bildes und Wortes einwilligt.
Kosten und Möglichkeiten
Sofern zukünftig
regelmäßig eine Livestream-Übertragung aus den Rats- und Ausschusssitzungen
gewünscht wird, gibt es folgende Alternativen hinsichtlich der Gestellung von
Kameratechnik und -team:
·
Die
Stadt Wassenberg stellt selbst Technik (vorher zu beschaffen) und zusätzliches
Personal (ggfs. noch zu schulende Mitarbeiter/innen aus dem Haus).
·
Der
Auftrag wird an externe Anbieter vergeben.
Die Form der
Präsentation einer Livestream-Übertragung ist mitentscheidend dafür, ob und
wieweit Zuschauer/innen dieses neue Angebot annehmen. Das bedeutet vor allem,
dass nicht nur „bewegte Bilder“ geliefert werden, sondern vor allem auch die
Bildauswahl „bewegt“ sein muss. Denkbar wäre es ja, in einer Schmalspurvariante
nur eine festinstallierte Kamera einzusetzen, die z. B. permanent auf ein
Rednerpult gerichtet ist. Das hätte zur Folge, dass nunmehr alle Redner stets
von dort sprechen müssten, es ist unpraktikabel, weil störend für den
Sitzungsablauf, „das Auge des Betrachters“ ist sehr schnell ermüdet und das
Interesse an der Berichterstattung erlischt. Folglich ist es sinnvoll,
mindestens 2 Kameras, 1 davon dann geführt (mobil) einzusetzen.
Um folglich eine
zuschauergerechte, attraktive Präsentationsform des Livestreams anbieten zu
können, ist von zwei einzusetzenden Kameras auszugehen:
·
1
Kamera mit fester Ausrichtung auf den Bürgermeister-/Verwaltungsbereich
·
1
Kamera mobil, welche einzelne Rats- und Ausschussmitglieder aufnimmt
Benötigt werden
zudem 1 Videomischer und ein Computer zur Verarbeitung der Bildsignale für die
Übertragung. Dies bedeutet, dass jede Übertragung von mindestens zwei Personen
geleitet und betreut werden muss.
Zum anderen käme eine Komplettvergabe der
Film- und Übertragungsaufgaben an entsprechende Firmen in Betracht. Vorhergehen
würde eine entsprechende Ausschreibung.
Einmalige Kosten:
Streaming-Kamera: ca. 2.000 €
Stativ: rd. 300 €
Streaming Encoder: ca. 2.100 €
Videobearbeitungssoftware: 330€
Anschaffung Workstation für Videobearbeitung:
rd. 1.500 €
Schulung Kameramann und Videobearbeiter: ca.
800 €
Monatliche Kosten:
Bereitstellung Streaming-Servers mit z.B. 40
Slots: 71,40 €/Monat
Laufende sonstige Aufwendungen:
Bereitstellung Kameramann für die Sitzungen
Aufbereitung der Gespeicherten Streams,
Schneiden, Upload ins Internet
Beschluss: (einstimmig)
Der Rat der Stadt Wassenberg beschließt die Ergänzung von § 27 der
Geschäftsordnung für den Rat und die Ausschüsse vom 12.11.2020 um einen Absatz
4 mit folgendem Wortlaut:
„Liveübertragungen und Videoaufzeichnungen aus den öffentlichen
Sitzungen des Rates sowie der Ausschüsse sind zulässig, sofern alle Rats- und
Ausschussmitglieder, sachkundigen Bürger und beratenden Ausschussmitglieder
eine generelle Einwilligung in die Übertragung des eigenen Bildes und Wortes
für die laufende Wahlperiode schriftlich gegenüber dem zuständigen Fachbereich
erklärt haben. Die Einwilligung kann jederzeit schriftlich widerrufen werden.“
Darüber hinaus beschließt der Rat die Übertragung aller Rats- und
Ausschusssitzungen ab dem 1. Juni 2021.
Die vorstehenden Beschlüsse werden unter der auflösenden Bedingung
gefasst, dass dieser Beschluss einstimmig gefasst wird und alle Rats- und
Ausschussmitglieder ihre Einwilligung in die Live-Übertragung und Aufzeichnung
der Sitzungen für die laufende Wahlperiode bis zum 30.04.2021 schriftlich
gegenüber dem Fachbereich „Verwaltungsmanagement und Ratsangelegenheiten“
erklären.
Der Rat wird in der Ratssitzung am 20. Mai 2021 über das Ergebnis informiert.